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Friedrich Mücke: „Der krasseste Job, den ich je gemacht habe“

Friedrich Mücke: „Der krasseste Job, den ich je gemacht habe“

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In "Liberame" spielt Friedrich Mücke den Familienvater Jan Garbe, der von der Vergangenheit eingeholt wird. Credit: © ZDF und Marion von der Mehden
Wir sprachen exklusiv mit Friedich Mücke zu seiner neuen Serie „Liberame“, warum er Schnäuzer trägt und warum er nicht immer ein guter Mensch ist.

In der neuen ZDF-Serie „Liberame“ steckt Friedrich Mücke in seiner Rolle in einer Ausnahmesituation. Bei einem Mittelmeer-Segeltörn bitten ihn Flüchtlinge, auf einem in Seenot geratenen Boot, um Hilfe. Nachdem etwas Unerwartetes geschieht, muss er sich Jahre später seiner Verantwortung stellen. (lesen Sie hier mehr zur Serie)

Der Sechsteiler basiert auf der mit dem Emmy ausgezeichneten, australischen Serie „Safe Harbour“. Neben Mücke standen Johanna Wokalek als seine Frau, Ina Weisse und Mohamed Achour vor der Kamera.

Wir sprachen mit dem dreifachen Vater, dessen Kinder sieben, zehn und elf Jahre alt sind, über Teenager, Moral und seinen Umgang mit Kritik.

Friedrich Mücke im Interview

Der wichtigste Satz für mich in dieser Serie lautet: „Ich dachte, wir sind alles gute Menschen.“ Sind Sie ein guter Mensch?

(lacht) Nicht nur. Was zeichnet einen guten Menschen aus? Bin ich selber einer oder nicht? Das sind natürlich große Fragen, die mich auch an der Serie interessiert haben. Unterbewusst will ich dem Ideal entsprechen, einer zu sein. Das steht zwar nicht über meinem Bett, aber mit diesem Anspruch bin ich groß geworden, ohne dass meine Eltern mir das explizit sagen mussten. Ich bin bemüht, gut zu sein, aber gleichzeitig weiß ich, dass ich es nicht immer bin. Die noch wichtigere Frage lautet wohl: Wie weit reicht das Nichtgutsein? Meine These lautet: Jeder von uns weiß, wann er nicht so gut ist. Und diesem Wissen, wohnt nicht selten ein Schamgefühl inne.

Ab wann ist Ihre Rolle Jan Garbe kein guter Mensch mehr?

Wir lernen Jan auf zwei Zeitebenen kennen. In der Vergangenheit wollen sich fünf deutsche Urlauber auf dem Mittelmeer eine gute Zeit machen. Der Segeltörn kippt, als sie auf das Flüchtlingsboot treffen. Jan ist als Kapitän für seine Crew verantwortlich. Aber als Mensch ist er auch verpflichtet, zu helfen. Auf dem Meer handelt Jan nach bestem Gewissen. Doch plötzlich ist seine Sicherheit bedroht und sein Leben wird von einem auf den nächsten Moment problematisch.

Die Bildergalerie zu „Liberame – Nach dem Sturm“

In der Jetzt-Ebene betrügt er seine Frau und versucht trotzdem ein guter Familienvater zu sein.

Ja, sein Charakter ist widersprüchlich und das finde ich auch gut so. Das ist menschlich. Menschen verhalten sich nun mal so. Wir erleben Jan in zweifelhaften Situationen, in denen er sich angreifbar macht, in denen er verletzlich ist und auch andere verletzt.

Dann scheint Jans 15-jährige Tochter Elly in großer Gefahr zu schweben.

Das ist das Schlimmste überhaupt. Man kann noch so viele Krisensituationen gemeistert haben, so was will ich nie erleben müssen.

Als Familienvater sagt er über seine Teenagertochter: „Wenn wir alles im Griff hätten, wäre etwas nicht gut gelaufen.“ Sie haben drei Kinder. Können Sie diese Aussage nachempfinden?

Nicht durch meine Kinder, die sind noch zu klein. Aber ich habe Erfahrungen mit Teenagerkindern aus meiner Zeit als Erzieher. Das war der krasseste Job, den ich je gemacht habe, aber auch eine super Lebensschule für mich. Ich habe mit verhaltensauffälligen Kindern gearbeitet und Teenager kommen meines Erachtens von der Herausforderung her gleich danach.

Wie konnten Sie diesen Kindern als Erzieher helfen?

Den Job habe ich für 2,5 Jahre in Berlin gemacht. Die Kinder brauchten Liebe und jemanden, der ihnen zuhört. Wenn man in seinem Leben mit Mitgefühl aufgewachsen ist, ist das nicht so schwer, das weiterzugeben. Sie haben damals einfach Struktur gebraucht.

Wie haben Sie die Flüchtlingskrise 2015 erlebt?

Im Umfeld meiner Kinder tauchte das schon auf. Ich lebe in München und fand es wahnsinnig beeindruckend, wie die Stadt aufgestanden ist, wie man sich fast schon selber geholfen hat, zu helfen. Auch jetzt beim Ukrainekrieg haben Bekannte schnell Zimmer bereitgestellt. Inzwischen ist die Flüchtlingskrise fast schon wieder in Vergessenheit geraten, obwohl das immer noch in aller Heftigkeit passiert. Es lässt sich nicht erklären, dass Menschen auf dem Meer anderen Menschen helfen und dafür 20 Jahre in den Knast gehen sollen.

Dafür ist es gut, dass die Serie dieses Leid noch mal ins Gedächtnis ruft. Wie haben sich durch diesen Dreh Ihre Ansichten verändert?

Die Arbeit hier hat mir noch mal einen neuen Zugang gegeben. Mir war das zwar alles bewusst und ich bin auch jemand, der grundsätzlich sagt: „Da muss man helfen.“ Aber es geht halt noch so viel mehr. Es reicht nicht, nur darüber zu lesen: Hilf da, wo du helfen kannst! Es ist wichtig zu sagen und selbstverständlich: Es gibt keinen Unterschied zwischen Kriegs- oder Wirtschaftsflüchtlingen oder welchen, die aufgrund ihrer Sexualität verfolgt werden.

Haben Sie sich auch mit den Gesetzen auseinandergesetzt? In der Serie wird gezeigt, dass wenn man hilft, man auch die Verantwortung übernimmt.

Als ich diesen Satz im Drehbuch gelesen habe, habe ich mich natürlich damit auseinandergesetzt. Ist das jetzt nur ein Satz, den Ina Weisse in ihrer Rolle sagt oder stimmt das tatsächlich? Dass das seit 2018 so ist, war mir vorher nicht klar. Ebenfalls nicht bekannt war mir die Tatsache, dass es auf illegalerweise Rückführungen von libyschen Flüchtlingen gibt, die gerettet werden könnten. Da wird sehr viel versteckt.

Inwiefern kann die Serie auf diese Dinge überhaupt eingehen?

Nun, wir wollen nicht die Moralkeule schwingen, zumal es ein Remake einer australischen Serie ist. Wir zeigen eine relativ sichere Welt, die auf eine komplett zerstörte trifft. Das Gute ist, dass der Zuschauer angeregt wird, darüber nachzudenken, wie er sich selber verhalten würde.

Was unterscheidet das Original vom Remake?

Die australische Serie ist mit vier Folgen kürzer, aber die Erzählweise, mit dem Ebenenwechsel, ist ähnlich.

Das ist tatsächlich der einzige kleine Kritikpunkt, den ich an der Serie habe: Sie ist etwas lang. Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?

Das akzeptiere ich total. Die Zuschauer sind im Seriengucken geschult. Vielleicht hätte man es auch kürzer erzählen können, aber es gibt auch gute Gründe für die Beleuchtung der verschiedenen Sichtweisen und Aspekte.

Wie stark beeinflusst Sie Kritik? War diese am Erfurter „Tatort“ ein Grund für das Ende ihrer Laufbahn als Kommissar?

Ich denke nicht. Schließlich wusste ich es selbst und die Entscheidung war dementsprechend für mich schon vorher gefallen. Ich weiß aber inzwischen, wie man solche Kritik besser wegstecken kann.

Wann mussten Sie das zuletzt? Haben Sie ein Beispiel?

Derzeit stehe ich als Kaufhaus-Erpresser Dagobert vor der Kamera. Eine Tageszeitung schrieb, ich könne das nicht. Da kann ich dann eigentlich nur müde lächeln und denke mir: „Lass mich erst mal meine Arbeit machen. Wenn der Film fertig ist, darf gern erneut kritisiert werden.“

Für diese Rolle tragen Sie derzeit auch Schnäuzer. Werden Sie den behalten?

Nein, der kommt wieder ab. Wobei ich es auch ganz schön finde, dass mich derzeit niemand erkennt (lacht).

Interview: Kristina Heuer

Am Montag, 5. September, und Mittwoch, 7. September 2022, jeweils um 20.15 Uhr zeigt das ZDF die sechsteilige Serie „Liberame – Nach dem Sturm“, die bereits in der ZDF-Mediathek zu sehen ist.