Ein Interview mit Judy Winter? Da sind die Antworten der Grande Dame fast schon Nebensache, denn entscheidend ist das Privileg, ihre Stimme hören zu dürfen. Diese ist einzigartig. Nicht umsonst synchronisierte sie in ihrem Leben schon Stars wie Shirley MacLaine (GOLDENE KAMERA 1997), Faye Dunaway, Jane Fonda (GOLDENE KAMERA 2017), Audrey Hepburn, Julie Walters, Bette Midler und bekam als Einzige jemals eine GOLDENE KAMERA (1977) für Synchronarbeit: In „Szenen einer Ehe“ sprach sie Liv Ullmann.
Nicht minder erfolgreich ist Winters Arbeit als Schauspielerin. Nun ist sie bereits zum siebten Mal in der Rolle der schrulligen Susanne neben Andrea Sawatzki (hier im Interview) in „Familie Bundschuh – Unter Verschluss“ (Donnerstag, 1. September 2022, 20.15 Uhr, ZDF) zu sehen (lesen Sie hier mehr über die aktuelle Folge).
Judy Winter im Interview
Wir sprachen mit Judy Winter über die Gründe, warum im Fernsehen so wenige ältere Schauspielerinnen zu sehen sind, Partnersuche und ihr Privatleben. Am 18. August verstarb ihr Ex-Mann, Jazzmusiker Rolf Kühn. Die beiden verband, wie sie uns mitteilte, auch nach der Trennung 1990 eine tiefe Freundschaft. In ihrer Rolle als Susanne bandelt die Bundschuh-Oma nun mit einer alten Liebe, gespielt von Rüdiger Vogler, neu an.
GOLDENE KAMERA: Susanne benimmt sich in der 7. Folge „Familie Bundschuh – Unter Verschluss“ ungewöhnlich. Was ist mit ihr los?
Judy Winter: Ich finde die Seite, die man an Susanne in dieser Folge sieht, sehr schön. Sie ist nicht nur angetrunken, nicht nur zickig, sondern sie ist auf einmal verliebt. Dabei reagiert sie wie ein Teenager. Das finde ich sehr reizvoll.
Zudem verändert sich ihre Beziehung zu ihrem Sohn Gerald. Woran liegt das?
(lacht) Gerald wird endlich erwachsen. Ich finde es so gelungen, wie entsetzt Susanne ist. Sie kann es ja gar nicht fassen, wie ihr Sohn nun mit ihr umgeht. Einerseits tut ihr das weh, aber andererseits ist sie auch sehr stolz auf ihn.
Die Bildergalerie zu „Familie Bundschuh – Unter Verschluss“
Susanne sagt, dass sie die Menschen aus dem Dorf näher kennenlernen möchte, weil da vielleicht ein brauchbarer Mann für sie dabei sein könnte. Ist die Partnersuche bei Ihnen und in Ihrem Freundeskreis auch ein Thema?
Nein, nicht, dass ich wüsste. Ich habe einige Freundinnen in meinem Alter, mit denen ich seit über 40 Jahren befreundet bin. Aber da sucht keine mehr.
Susanne war dreimal verheiratet, Sie hatten drei sehr lange Beziehungen. Gab es in Ihrem Leben eine große Liebe?
Es gab zwei.
Wie war die Zusammenarbeit mit Rüdiger Vogler? Sie mussten sich beim Dreh sehr nahekommen. Kannten Sie sich schon vorher?
Nein, wir haben uns am Set erst kennengelernt. Die Arbeit mit ihm war sehr professionell.
Warum handeln kaum Filme von der Liebe im Alter?
Es werden wohl so wenige reife Frauen gezeigt, weil es keinem Mann schmeichelt, mit einer gleichaltrigen Frau gesehen zu werden. Egal, ob im Fernsehen oder im echten Leben: Wenn die Frau 20 Jahre jünger ist, sieht der Mann doch gleich viel besser aus.
Wie empfinden Sie das?
Ich empfinde es als sehr schade, dass es diese unsichtbare Schranke gibt, die eine Frau ab Mitte 40 nicht mehr als Frau wahrnehmen lässt. Für Schauspielerinnen im kritischen Alter, wie Suzanne von Borsody, fehlen dann die Rollen. Es kommt mehr auf Sexappeal als auf Persönlichkeit an. Ich wünsche mir, dass sich das endlich umkehrt.
Haben Sie sich mit Mitte 40 nicht mehr gesehen gefühlt?
Nein, überhaupt nicht. Im normalen Leben habe ich bemerkt, dass man als reife Frau noch sehr begehrt ist. Das tut auch gut. Aber bei den Rollen und Angeboten gab es teilweise schon Schwierigkeiten.
Susannes Kleidungsstil ist sehr extravagant. Haben Sie einen Teil der Garderobe auch privat für sich entdeckt?
Ja, ich habe einiges übernommen. Zum Beispiel ein Cape mit falschem Pelzkragen, einen hellen Mantel und auch die Leopardenstrumpfhose. Die finde ich witzig.
Gehen Sie damit auch in Berlin auf die Straße?
Mit der Leopardenleggins? (lacht) Nein, bestimmt nicht. Die ist nur für zu Hause. Aber diesen sehr schönen klassischen Mantel trage ich sehr gerne draußen. Susanne ist ja nicht nur verrückt gekleidet, auch wenn das in dieser Folge schon sehr auffällt. Mit der Kostümbildnerin tobe ich mich manchmal richtig aus. Wir schlagen einander so lange Sachen vor, bis es richtig verrückt wird. Das macht großen Spaß.
Schmuggeln Sie auch Ihre Aids-Schleife, die Sie ja als Botschafterin stets tragen, in Ihre Kostüme?
Nein, das ist mir zu ernst. Die trage ich nur privat und da tatsächlich immer.
Diese Folge handelt von der Pandemie. Hatten Sie Covid-19?
Ja, mit der Krankheit hatte ich fünf Wochen lang schon sehr zu kämpfen.
Was war für Sie in der Pandemie das Schwierigste?
Ich habe die Nähe zu anderen Menschen vermisst. Vor allem zu meinem Sohn. Der hat mir die Einkäufe hingestellt und stand dann fünf, sechs Meter entfernt auf dem Abtreter der Nachbarin. Das war furchtbar. Seinen 50. Geburtstag konnten wir auch nicht feiern. Aber das haben wir zum Glück nachgeholt.
Rose versucht, Corona wegzubeten. Sind Sie gläubig?
Rose ist ja eher verlogen gläubig. Das finde ich sehr lustig an ihr. Ich bin aus der Kirche ausgetreten, betrachte mich aber als gläubig.
Sie standen vor Kurzem wieder als Dr. Renate Wenger in der Fortsetzung von „Club Las Piranjas“ vor der Kamera. Wie war das?
Das war nicht schwierig. Das ging automatisch. Eigentlich war ich tot und bin nur als Geist aufgetreten.
Was wünschen Sie Susanne für die Zukunft?
Für sie wäre es natürlich schöner, wenn sie etwas ruhiger werden würde. Aber als Schauspielerin finde ich das Ausgeflippte an ihr reizvoller. Das ist auch lustiger.
Interview: Kristina Heuer