Der Fahndungsaufruf des Bundeskriminalamts klingt kühl: Familienname: Klug. Vorname: Yolanda. Geschlecht: weiblich. Alter: 23 Jahre. Größe: ca. 165 Zentimeter. Athletischer Körperbau, blasse Hautfarbe, blaue Augen. Dunkelblondes, glattes, mittellanges Haar. Besonderes Merkmal: Nasenpiercing. Doch hinter diesen nüchternen Fakten verbirgt sich ein Schicksal, das Angehörige und Freunde verzweifeln lässt. Seit drei Jahren gibt es von der jungen Architekturstudentin kein Lebenszeichen mehr. Letzte Hoffnung: die neue Sonderausgabe von „Aktenzeichen XY“ (Mittwoch, 29. Juni, 20.15 Uhr im ZDF).
Darum geht’s in „Aktenzeichen XY… Vermisst“
„In unserer Sendung erzählen wir aktuelle Fälle von Menschen, die urplötzlich spurlos verschwunden sind“, verrät ZDF-Moderator Rudi Cerne. „Ob sie noch leben, ist die wichtigste Frage. Persönlich bewegen mich besonders die menschlichen Schicksale – und dass die vier Fälle mysteriös sind.“ Jedes Jahr werden in Deutschland rund 100.000 Menschen als vermisst gemeldet. Minderjährige machen darunter laut Bundeskriminalamt (BKA) rund die Hälfte aus. Die meisten tauchen glücklicherweise nach zwei bis vier Tagen wieder auf, doch Tausende solcher Fälle bleiben ungeklärt.
Bildergalerie: „Aktenzeichen XY… Vermisst“
„Es gibt viele Gründe, warum Menschen verschwinden, beispielsweise häuslichen Stress oder Angst vor Prüfungen“, erklärt Cerne. „Solche Augenblicke sind größter emotionaler Stress, der sich aber in den meisten Fällen nach einigen Tagen wieder legt. Leider jedoch werden drei Prozent der Menschen, die in Deutschland verschwinden, zu sogenannten Langzeitvermissten.“
Wie die vier Fälle, bei denen Rudi Cerne, die zuständige Kriminalpolizei und natürlich die Angehörigen auf neue Hinweise aus der Bevölkerung hoffen. Schon seit Oktober 1967 bittet das ZDF um Mithilfe bei ungelösten Kriminalfällen, seit 2002 moderiert Rudi Cerne den TV-Klassiker, den Eduard Zimmermann (1929 – 2009, GOLDENE KAMERA 1967) einst erfand. Cerne kann auf viel Erfahrung zurückgreifen, dennoch stellen Vermisstenfälle eine besondere Herausforderung dar: „Die Situation ist völlig anders als in den üblichen Ausgaben von ‚Aktenzeichen XY … ungelöst‘. Auch für mich – schließlich sind Angehörige im Studio: Menschen, die große Hoffnungen in die Sendung setzen“, sagt Cerne. „Die Ungewissheit ist für diese Menschen zermürbend. Das ist spürbar. Sie leben über Jahre in einer emotionalen Ausnahmesituation.“ Wurden die Vermissten Opfer eines Verbrechens? Leben sie vielleicht noch?
Als die verzweifelte Ehefrau des 58-jährigen Walter Schuster aus Meiningen ihren Mann im Juli 2021 als vermisst meldet, ahnt sie noch nicht, wie lange diese Ungewissheit andauern wird. Die Polizei unternimmt alles, um den Verschwundenen zu finden. Sie führt zahlreiche Befragungen durch, setzt einen Personenspürhund und einen Leichensuchhund ein. Taucher durchkämmen die Gewässer in der Nähe. Eine Drohne sucht das Gebiet rund um den Wohnort des Ehepaars akribisch ab. Weil Walter Schuster zuletzt mit seinem Hund „Zeus“ unterwegs war, kommt schließlich sogar ein sogenannter Pet-Trailer zum Einsatz, der nach vermissten Hunden „schnüffeln“ kann. Alles vergeblich.
Wie bei so vielen anderen Fällen bleibt die Frage: Wie kann ein Mensch einfach spurlos verschwinden?
Erfolge, die berühren
Sowohl für Cerne als auch für die Redaktion erfordert die Zusammenarbeit mit den Familien viel Fingerspitzengefühl. Umso schöner ist es, wenn der Erfolg direkt messbar wird. Immer wieder passiert es, dass Bewegung in Fälle kommt, die zuvor aussichtslos erschienen. Während und nach der Sendung gehen in der Regel mehrere Hundert Anrufe ein. Teilweise melden sich Menschen, die den Familien ihr Mitgefühl aussprechen wollen, teilweise sind es konkrete Hinweise, die zur Klärung führen. Manchmal erfüllen sich dabei sogar die stillen Hoffnungen der Angehörigen. Wie bei einem Fall, der Rudi Cerne aus seinen bisherigen Sendungen besonders in Erinnerung geblieben ist: „Im Jahr 2015 war Luljeta T. bereits seit einem Jahr vermisst. Die verzweifelten Eltern kamen zu uns ins Studio, und die Mutter richtete einen bewegenden Appell in die Livekamera: ‚Du bist immer willkommen, Luljeta. Bitte melde dich.‘ Und tatsächlich hatte das verschwundene Mädchen beim Durchzappen ihre Eltern gesehen. Der Auftritt hatte sie sehr berührt. Am nächsten Tag meldete sie sich bei der Polizei, und dann kam sie nach Hause.“ Ein glückliches Ende, ermöglicht durch den emotionalen Hilferuf im ZDF!
Rund 8800 Menschen gelten derzeit in Deutschland als vermisst, doch nur vier Fälle können in der aktuellen Sendung vorgestellt werden. Nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl? Prinzipiell läuft bei der Vorbereitung alles sachlich ab. Grundlage ist eine Verfügung der Justizminister des Bundes und der Länder vom März 1973, eine Art „Gebrauchsanweisung“ für die Öffentlichkeitsfahndung in den Medien. Auch bei der Vermisstensuche können ausschließlich Fälle berücksichtigt werden, bei denen die Polizei noch einen Ermittlungsansatz hat und die Öffentlichkeit zum Zeitpunkt der Ausstrahlung miteinbeziehen möchte. „Alle Vermisstenfälle, bei denen die Angehörigen die Hilfe von ‚XY‘ wünschen, die Polizei nicht sagen kann, was passiert ist, und wir eine Veröffentlichung für sinnvoll erachten, sind Fälle für ‚Aktenzeichen XY … Vermisst'“, erklärt die zuständige Redaktionsleiterin Ina-Maria Reize.
Rund 20 Vermisstenfälle, so ergänzt sie, werden pro Jahr an die TV-Redaktion herangetragen. Mehr als zwei Drittel aller Langzeitvermissten sind männlich. Hat die erfahrene Fahndungsredakteurin dafür eine Erklärung? „Eine Vermutung: Mehr Männer als Frauen begehen Suizid“, sagt Ina-Maria Reize. „Viele der Selbstmörder werden lange nicht oder nie gefunden. Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang. Vielleicht machen sich einfach auch mehr Männer aus dem Staub, um ein neues Leben anzufangen. Männer sind bekanntlich weniger kommunikativ als Frauen.“ Ein Abschied ohne Worte, für immer.
Ein Jubiläum, das verblüfft
Neben dem Special über Vermisstenfälle steht im Herbst 2022 noch ein besonderes Jubiläum an: 55 Jahre „Aktenzeichen XY … ungelöst“. Ein Grund zum Feiern? „Zunächst einmal bin ich baff, wie schnell die Zeit rast“, sagt Moderator Rudi Cerne. „Mittlerweile gehöre ich ja auch schon seit 20 Jahren zum Team. Ich denke, wir werden die 55 Jahre in irgendeiner bescheidenen Form begehen. Aftershow-Partys passen nicht zu uns. Aber ein Gläschen werden wir schon heben und auf Eduard Zimmermann anstoßen.“