Jeder „Tatort“-Macher leckt sich die Finger, um ihn zu bekommen. Und das nicht erst seitdem er als Kai Korthals Kiel unsicher machte. Lars Eidinger scheint ähnlich wie schon Klaus Kinski auf die Rolle des Psychopathen spezialisiert zu sein. Sein undurchschaubares Spiel und seine Unangepasstheit verwirren jetzt auch die Zuschauer des „Tatort: Murot und das Prinzip Hoffnung“ (Sonntag, 21. November, 20.15 Uhr im Ersten)“. Ob er wirklich eine Bereicherung für den „Tatort“ ist oder, ob es eher verwirrend wirkt, ihn schon wieder in einem Sonntagabend-Krimi zu sehen, daran werden sich genauso, wie auch an dem Fall selbst, die Geister scheiden.
Darum geht’s im „Tatort: Murot und das Prinzip Hoffnung“
„Jemand spielt ein Spiel mit mir“, sagt Felix Murot (Ulrich Tukur). Und tatsächlich liefert ein Serienmörder dem Kommissaren noch vor seinen Taten entscheidende Hinweise. Bevor ein türkischer Obsthändler erschossen wird, bekommt Murot eine Gemüselieferung. Dann erhält er in der Nacht, in der ein chinesischer IT-Spezialist mit derselben Waffe ermordet wird, chinesisches Essen. Als nächste Lieferung trifft ein Buch, das sich mit dem Leben auf der Straße beschäftigt, ein. Prompt wird der obdachlose Philosophieprofessor Muthesius ebenfalls durch Genickschuss getötet.
Das letzte Opfer war kein Unbekannter für Murot. Einst studierte der Kommissar bei dem Professor vier Semester Philosophie. Muthesius und Murot verband darüber hinaus eine tiefe Freundschaft. Oft diskutierten sie gemeinsam mit der Familie des Professors stundenlang über den Sinn des Lebens. Als Murot die ihm bekannten drei Kinder von Muthesius aufsucht, muss er verwundert feststellen, dass sie der Tod ihres Vater kaum beschäftigt. Paul (Lars Eidinger) scheint als Stand-Up-Poet seine ganz eigene und exzentrische Sicht auf die Welt zu haben. Seine Schwester Inga (Karoline Eichhorn), eine Psychotherapeutin, hat für alles eine Erklärung und führt Murot in die Psychologie der Familienaufstellung ein.
Selbst die jüngste Tochter Laura (Friederike Ott), die mit Geld ihres Vaters eine Stiftung für bedürftige Gläubige gegründet hat, scheint der Mord an ihrem Vater nicht zu erschüttern.
Warum aber hat Muthesius seine Villa verlassen, um auf der Straße zu leben? „Ihr wart immer eine merkwürdige Familie“, stellt Murot erstaunt fest. Doch wie merkwürdig diese Familie noch wird, damit hat sicherlich nicht mal der Kommissar gerechnet…
Hintergrund
Rainer Kaufmann inszenierte den „Tatort: Murot und das Prinzip Hoffnung“. Das Drehbuch stammt von Martin Rauhaus, der schon über 70 Filme wie „Winterreise“, „Familienfest“, „Endlich Witwer“, „Und wer nimmt den Hund?“ und „Adieu Paris“ für TV und Kino schrieb.
Autor Martin Rauhaus im Interview
Murot ist in diesem Tatort nicht nur Ermittler, sondern auch in tief in die Geschehnisse und die Hintergründe verstrickt. Der Film schreibt einen Teil der Biografie Murots. War Ihnen das von Anfang an klar oder hat sich das im Laufe der Arbeit am Buch ergeben?
Martin Rauhaus: Ich hatte Murot schon immer als den nachdenklichsten und potenziell tiefsinnigsten aller „Tatort“-Kommissare wahrgenommen. Ihm eine frühe Liebe zur Philosophie und Sinnsuche zu geben, schien uns allen durchaus seinem Charakter angemessen. Im Film sagt er, dass es ihm nach seinem Philosophiestudium nicht mehr genügte, über die Probleme nachzudenken – er wollte etwas tun. Weil es sonst, wie er hinzufügt, „so verdammt dunkel wäre.“
Der Titel bezieht sich auf das Hauptwerk des Philosophen Ernst Bloch, auch im Film kommt das Buch immer wieder vor. Wie kamen Sie auf die Idee, einen Tatort mit dem Werk eines Philosophen zu verbinden?
Meine erste Assoziation zu Frankfurt war die „Frankfurter Schule“, also jene Denkrichtung, die dann starken Einfluss auf die 68er-Bewegung hatte. Ich fand es schon immer erstaunlich, dass Frankfurt einmal ein Zentrum europäischen Denkens war. Nach Holocaust und Krieg stellten sich Leute wie Adorno, Horkheimer und eben auch Ernst Bloch die Frage, wie die Vernunft der Aufklärung so sehr hatte scheitern können
und versuchten, neue Antworten und Perspektiven zu finden. Sie untersuchten die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft und die Missachtung des individuellen Glücks. Kurz: Sie stellten die Fragen „Warum?“ und „Wie also anders?“ Der Titel von Blochs Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ scheint mir eine hochaktuelle, wenn auch gerade im Fernsehen eher zu kurz kommende Frage zu beleuchten: Was ist unsere
Haltung angesichts einer Unzahl von scheinbar unlösbaren globalen Problemen?
GOLDENE KAMERA TV-Tipp, weil…
Dies ist ein typischer Murot-Krimi, der mal wieder stark polarisieren wird. Die einen werden ihn lieben, die anderen hassen. Der Fall ist sehr dialoglastig, was einerseits angesichts der wichtigen Aussagen und Anspielungen interessant, in Anbetracht der minutenlangen Monologe aber auch nervtötend sein kann.
Murot ist wie schon so oft, nicht nur in Bezug auf die philosophischen Fragen, sondern auch bei der Tätersuche ein wenig schlauer als alle anderen. Das macht ihn als Figur vielleicht interessanter, in Hinblick auf die Mördersuche aber auch unglaubwürdig. Ein Glück, dass es da wenigstens die strategische Polizeiarbeit und die Gespräche mit seiner Kollegin gibt.
Auch die Inszenierung ist ungewöhnlich. Es gibt Rückblenden, die Schauspieler sprechen direkt mit den Zuschauern und per Computeranimation agieren sie zudem als Spielfiguren bei der Familienaufstellung. Das ist mutig, hat aber natürlich wenig mit einem klassischen Krimi gemein.
Dieser Fall ist insgesamt anstrengend, ebenso anstrengend wie auch die eigene Familie anstrengend sein kann – trotzdem verhält es sich mit diesem Krimi ebenso wie mit den Verwandten – irgendwie mag man ihn trotzdem!