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Albrecht Schuch: „Die meisten verbinden damit was Abgründiges“

Albrecht Schuch: „Die meisten verbinden damit was Abgründiges“

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"Systemsprenger": Anti-Aggressionstrainer Michael (Albrecht Schuch) Credit: © Port au Prince Pictures
Albrecht Schuch ist der meist gefeierte Schauspieler des letzten Jahres. Wir sprachen mit ihm über den Ausnahmefilm „Systemsprenger“ und seinen Umgang mit Zorn.

GOLDENE KAMERA-Preisträger, European Shooting Star 2021, zwei Deutsche Filmpreise in einem Jahr – (fast) alles was Albrecht Schuch jüngst vor der Kamera geleistet hat, wurde ausgezeichnet.

Eine seiner wohl einprägsamsten Rollen ist die des Antigewalttrainers Micha im international prämierten Film „Systemsprenger (das ZDF zeigt die Free-TV-Premiere am Montag, 17. Mai und 20.15 Uhr und stellt den Film bereits in der Mediathek zum Abruf bereit).

In dem Sozialdrama spielt Schuch den ruhigen Gegenpart zu der traumatisierten und unberechenbaren Bernadette, genannt Benni (Helena Zengel). Die 9-Jährige, die zu unkontrollierten Wutausbrüchen neigt, wird zwischen Pflegefamilien, Psychiatrien und Heimen hin und hergereicht. Jeder, einschließlich ihrer Mutter, scheint mit ihrer Betreuung überfordert. Einzig Micha versucht sie mit einem Anti-Aggressions-Training wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Albrecht Schuch im Interview

GOLDENE KAMERA: Was hat Micha von Albrecht Schuch?

Albrecht Schuch: Die Naturverbundenheit ist sicherlich eine Schnittstelle zwischen der Figur und mir. Für Micha war die Natur sein Anker. Sie hat ihm geholfen, aus der Spirale der Kriminalität und des Nichtgesehenwerdens rauszukommen. Diese Erfahrung gibt er nun an Benny weiter.

Was glauben Sie, wann verliert Micha sein Herz an das Kind?

Von Anfang an! Es ist so, als hätte sie ihm einen Weichmacher injiziert. In der Hütte verfestigt sich diese Bindung, die mit der Zeit seine Professionalität immer mehr lahmlegt.

Benny rastet aus, wird fixiert, von ihrer Mutter enttäuscht – Für den Zuschauer gibt es jede Menge nur schwer erträgliche Szenen. Welche hat Sie beim Drehen am meisten herausgefordert?

Es war eine relativ banale Szene. Und zwar die, in der Micha mit Benny zu sich nach Hause kommt. Die Tür geht auf und alle stehen im Flur. Da prallen zwei Welten aufeinander, die ich als Schauspieler nicht zusammenbringen konnte.

Ihr Spiel ist oft sehr körperlich. Was haben Sie sich für Micha überlegt?

Ich brauchte eine Art Bodenhaftigkeit für ihn. Bei der Vorbereitung habe ich mehrere Trainer*innen und den ehemaligen Kickboxeuropameister kennengelernt. Ihre Körperlichkeit habe ich genau beobachtet und versucht sie zu übernehmen. Ich habe mir vorgestellt, dass Micha im Gefängnis saß und sich dort einen sehr robusten Körper als Schutzschild antrainiert hat.

Sie treten wie ein Fels in der Brandung auf – und das, ohne dass Sie viel reden…

Diese Wortkargheit habe ich wahnsinnig geliebt. Nicht nur, weil ich gerne mit Blicken und Körpersprache spiele, sondern auch, weil es mich als Zuschauer manchmal stört, dass in Filmen zu viel geredet wird. Andere Kommunikationsmittel wie die Körpersprache treten oft in den Hintergrund.

Ihr Vater ist Psychiater, ihre Mutter Ärztin, ihre Schwester Schauspielerin Karoline Schuch hat ein Diplom in Psychologie – Konnte Ihre Familie Ihnen bei den Vorbereitungen helfen?

Sie helfen mir bei all meinen Filmen. Doch am wichtigsten waren mir hier die Gespräche mit Sozialarbeiter*innen, Antiaggressivitätstrainer*innen, Abenteuerpädagogen*innen und Kickboxtrainer*innen und Jugendlichen, die bereits im Knast waren.

Haben Sie von Ihnen auch ein Feedback bekommen?

Ein Sozialarbeiter schrieb mir, dass er eigentlich seinen Job aufgeben wollte. Der Alltag wäre kräftezehrend, das Personal sei chronisch unterbesetzt, die bürokratischen Hürden groß und die Erfolgsquoten niedrig. Er fand es wichtig, dass wir zeigen, wie viel Zeit es kostet, einen Menschen zu reparieren und ihm neues Selbstwertgefühl zu schenken. Der Film habe ihm neuen Mut gegeben, weiter zu machen.

Wie waren die Resonanzen im Freundes- und Bekanntenkreis auf den Film und insbesondere auf das Ende?

Die Reaktionen waren von Land zu Land ganz unterschiedlich. Witzigerweise wird das Ende in Deutschland eher negativ beurteilt. So ähnlich war es auch bei meinen Freunden. Der geringere Teil hat im Ende etwas Positives sehen können. Die meisten verbinden damit eher was Dunkles und Abgründiges. Das ist ja die Genialität dieses Filmes, dass er den Raum für die eigenen Emotionen gibt.

Ist auch drei Jahre nach dem Dreh noch was von Micha in Albrecht Schuch?

Was mir erhalten geblieben ist, ist das lustvolle und impulsive Spielen, was ich mir von Helena (Zengel, Anm. d. Red.) abgeguckt habe. Als sie jetzt so große Erfolge verzeichnet hat, ist etwas von Micha wieder in mir hochgekommen. So nach dem Motto: Man muss sie beschützen vor den Dingen, die jetzt auf sie einprasseln.

Und haben Sie das gemacht? Haben Sie sich bei ihr gemeldet?

Wir haben uns vor drei Wochen geschrieben, aber mit Ratschlägen halte ich mich zurück. Helena ist jetzt 12 Jahre und selbst beim Dreh mit Tom Hanks lässt sie sich nicht von der Glorifizierung um den Hollywoodstar beeindrucken. Sie wird das schon alles wuppen.

Auch Sie verzeichnen derzeit große Erfolge – Steigt Ihnen das zu Kopf?

Nein! Mein Beruf verführt natürlich zu einer übersteigerten Selbstwahrnehmung. Aber meine Eltern haben schon immer zu mir gesagt: Du bist nicht der Nabel der Welt. Mein Credo ist es, stattdessen beim Spielen den Boden unter den Füßen zu verlieren und nicht durch den Roten Teppich.

Sie sind GOLDENER KAMERA-Preisträger, im Jahr 2020 haben Sie gleich zwei Mal den Deutschen Filmpreis erhalten und vor Kurzem wurden Sie auf der Berlinale als European Shooting Star 2021 ausgezeichnet. So viel Erfolg kann doch nicht spurlos an einem vorbei gehen…

Nun, dieses Jahr war es leicht, nicht verführt zu werden (lacht). Alles war ja um 90 Prozent reduziert. Es gab weniger Pressetermine und die Verleihungen nur virtuell.

Bei unserem letzten Interview im Jahr 2017 sagten Sie zu mir, Sie wünschen sich als nächstes Projekt eine Komödie. Doch seitdem waren Sie in „Gladbeck“, „Berlin Alexanderplatz“ zu sehen und drehen jetzt in Prag „Im Westen nichts Neues“ – alles sehr ernste Filme. Besteht der Wunsch trotzdem noch?

Doch total. Bei so einem Format wie „Fleabag“ oder „After Life“ wäre ich sofort dabei. Allgemein faszinieren mich Charaktere, die einen mitbekommen haben oder die sich selbst in eine Situation gebracht haben, aus der sie nicht mehr herauskommen. Daraus resultiert oft Zorn gegen einen selbst. Als Schauspieler hat mich dieser schon immer sehr interessiert. Zorn offeriert so viele Spielmöglichkeiten und das mit doppeltem Boden.

Wann werden Sie besonders zornig?

Ungerechtigkeit, Vorurteile, schnelles Urteilen kann ich überhaupt nicht ab. Gerade in diesen Zeiten muss man da besonders aufpassen. Wir müssen vorsichtig sein, wie wir unsere Wut kanalisieren. Aufgrund ihrer Emotionen stürzen sich Leute auf bestimmte Punkte, ohne sie zu reflektieren, wie auf ein gefundenes Fressen. Nur mit Emotionen ohne Ratio kommen wir da nicht weiter.

Interview: Kristina Heuer