Im nächsten Frühjahr ist es so weit: Der Bestseller „Der Schwarm“ (2004) kommt als Megaserie ins Fernsehen. Das ZDF wird alle Folgen der ersten Staffel innerhalb einer Woche an vier Abenden zeigen. Wir waren beim Dreh in den Lites Studios in Brüssel dabei und sprachen mit dem Schöpfer des Buches und der Serie, Frank Schätzing. (mehr über den Setvisit lesen Sie hier).
Frank Schätzing im Interview
Frank Schätzing …
… über den Moment, als ihm die Idee zu „Der Schwarm“ einfiel:
Das war ein Traum, Mitte der Neunziger, morgens um drei. Ich schwebte über einem Ozean und sah, wie sich unter der Oberfläche Fische, Wale, Monster zusammenrotteten, von Horizont zu Horizont. Dieser unfassbare Schwarm schwamm Richtung Küste, und mir war klar, die wollen uns loswerden. Das Leben in den Meeren hatte sich gegen die Menschheit verschworen! Ich wachte auf und dachte, cooler Stoff für einen Thriller, hatte auch gleich den Titel: „Der Schwarm“. Also schrieb ich die Idee auf einen Zettel und legte ihn in eine Schublade, wo er vor sich hin schlummerte. Jahre später, 1998 beim Whale Watching vor Vancouver Island, früh am Morgen, Dunstschleier über dem Meer, tauchte neben unserem Zodiac ein Buckelwal auf und sah mich an. Und mir fiel der Zettel wieder ein. In dieser mystischen Atmosphäre wusste ich plötzlich, wie das Buch funktionieren könnte. Das war die Initialzündung.
Die Bildergalerie zu „Der Schwarm“
… über Wasser und Ideen
Wasser triggert meine Phantasie, die besten Ideen kommen mir unter der Dusche, tropfen gewissermaßen in mein Hirn. Ich habe mein Leben lang vom Wasser geträumt, auch von Tsunamis – bin an einem Strand, in einer Stadt, in den Bergen, drehe ich mich um, und da kommt eine gigantische Welle angerollt, und ich denke, jetzt hast du nur noch eine Chance: Du träumst, wach auf! Ein einziges Mal habe ich beschlossen, weiter zu träumen, weil man ja im Traum nicht sterben kann, was sollte also passieren. Die Welle überrollte mich und ich fand mich in einer unterseeischen Zivilisation wieder.
… über seine Rolle beim Seriendreh:
Den Cameo-Auftritt habe ich mir für Staffel zwei aufgespart. Mir ist wichtiger, kreativen Input zu geben. Frank Doelger und ich haben einen Deal. Jeder entwickelt Ideen und schreibt Storylines, die wir dann diskutieren. Ab da ziehe ich mich raus, muss ja auch noch Bücher schreiben, Frank überführt unseren gemeinsamen Input in Briefings für die Drehbuchautoren. Ich weiß also, was wir besprochen haben, aber nicht, wie das Ergebnis werden wird.
… die Chemie zwischen ihm und Frank Doelger
Wir reiben uns, raufen uns zusammen, normale kreative Prozesse. Frank betrachtet den Stoff mehr aus seiner Sicht als Produzent, ich mehr aus der Perspektive des Storytellers. Keinesfalls wollen wir das Buch Seite für Seite abfilmen. Es ist die Basis, die Hauptfiguren sind heilig, aber Vorrang hat, eine State of the Art-Serie zu machen, die den Vergleich mit den besten Serien der Welt nicht zu scheuen braucht. Der Roman selbst ist ja schon ein halber Film. Ich stelle mir also etwas visuell Innovatives vor, wagemutig und stilprägend. Zeitgemäß vor allem!
… ein konkretes Beispiel für einen Kompromiss zwischen ihm und Doelger:
Der Showdown. Im Buch gibt es einen parallelen Handlungsstrang in La Palma, wo die Würmer munter den Untergrund destabilisieren. Frank war gegen La Palma, ich dafür. Ich habe dann vorgeschlagen, aus dem Grönländischen Meer direkt in die Arktis zu gehen, Inhalte aus La Palma dorthin zu transferieren, und ein völlig neues Ende geschrieben. Jetzt sind die Yrr mitverantwortlich für den Abschmelzprozess des arktischen Meereises.
… über inhaltliche Veränderungen seit der Bucherscheinung 2004:
Als wir anfingen, habe ich gesagt: Lasst uns den Roman filmisch modernisieren. Und zwar auf allen Ebenen! 2004 war der Klimawandel weit weniger präsent, es gab kein YouTube, Facebook, Instagram. Nachrichten verbreiteten sich sehr viel langsamer. Seitdem hat sich die Mediendynamik, hat sich unser ganzes Kommunikationsverhalten enorm verändert. Ein Elon Musk hockt nicht telefonierend hinterm Schreibtisch wie ein Unternehmer der Neunziger, er läuft mit Kopfhörern und Holo-Display über sein Werksgelände, spricht aus dem Flieger. Ich möchte unsere Helden beim Joggen, bei der Arbeit, aus dem Helikopter kommunizieren sehen, die Indoor-Szenen, die im Roman unumgänglich waren – in Räumen, an Tischen, in Labors – in die Outdoor-Action einbetten. Dass nicht alle ständig vor Bildschirmen sitzen. Und natürlich müssen wir dem heutigen Lebensgefühl gerade junger Menschen Rechnung tragen, die in einer veränderten globalen Krisenlage aufwachsen.
… sein Gefühl, als er das Wasserstudio in Brüssel zum ersten Mal betrat:
Das war schon überwältigend. Surreal. Ich hatte das Gefühl, in meinen eigenen Kopf zu schauen. Als der sich vor etwas über zwanzig Jahren mit Meerwasser füllte, passierten darin die aberwitzigsten Dinge, und daraus wurde dann ein Buch. Jetzt wird eine Serie draus. Seit drei Jahren arbeiten wir daran, aber erst in diesem Wassertank in Belgien ist mir sinnlich bewusst geworden, dass wir den „Schwarm“ tatsächlich verfilmen!
… die größte Veränderung gegenüber dem Roman
Etliches hat sich weiterentwickelt, marines Equipment, digitale Technologien. Mir geht es vor allem darum, die heutigen Kräfteverhältnisse abzubilden. Die Rolle Chinas, der UN, der Tech-Konzerne, solche Dinge. Nur so können wir glaubwürdig sein. Welche sozialen Bewegungen bestimmen aktuell den Diskurs, welche Allianzen prägen die Zukunft? Was macht diese extrem krisenreiche Zeit mit unseren Gesellschaften? Ein bisschen sind die Yrr ja wie Corona. Sie spalten die Welt, und derzeit erleben wir mehr Spaltung denn je. Wissenschaft nimmt zunehmend Raum ein, zugleich wächst das Lager der Wissenschaftsleugner und Verschwörungstheoretiker. All das gehört in die Serie, und natürlich Fridays for Future, auch wenn wir sie nicht explizit so nennen. FFF haben die Gesellschaft nachhaltig verändert. Ich wünsche mir, dass wir das zeigen! Letztes Jahr habe ich den Kontakt zwischen FFF und den Produzenten hergestellt, Carla Reemtsma wirkt als Beraterin mit, wofür ich ihr sehr danke. Bin gespannt, wie das in den Film einfließt.
… weitere große Veränderungen gegenüber dem Roman
Im Buch puzzelt Johanson als Erster das Big Picture zusammen: Wale, die in Kanada auf Boote springen, Würmer vor Norwegen, Havarien im Pazifik, Quallenplagen in Australien, Krabbeninvasionen vor New York. Die Erkenntnis, dass alles dieselbe Ursache hat, reift erst langsam in ihm, weil sich Nachrichten Anfang der Nuller Jahre eben viel langsamer verbreiteten. Heute wären diese Phänomene in Echtzeit im Netz. Johanson würde sie schneller miteinander verknüpfen. Das verändert die Dynamik der Story gegenüber dem Original. Das globale Bewusstsein, dass etwas gewaltig schief läuft, entwickelt sich rascher, Krisenstäbe vernetzen sich, die Vereinten Nationen treten schneller auf den Plan. Alles eskaliert früher, und dabei dürfen wir nie die philosophische Tiefe verlieren. Wir stellen die großen Fragen unserer Existenz, das unterscheidet uns von irgendeinem Action-Spektakel, in dem es pausenlos nur zischt und kracht.
… über die Charaktere
Die Story ist „character driven“, genau wie im Roman. In höchster Gefahr entdecken unsere Protagonisten, wer sie wirklich sind. Wichtig ist mir, die Figuren in unsere Zeit zu holen, ohne sie zu verbiegen. Im Buch gibt es den alten Professor Bauer. Ich liebe ihn, habe ihn trotzdem durch junge Wissenschaftler ersetzt – was bitte nicht als Diskriminierung alter Professoren missverstanden werden soll! (lacht) Aber wir brauchen mehr junge Gesichter. Mehr weibliche Präsenz! Bohrmann und Roche, im Roman Männer, sind jetzt Frauen. Das Buch ist ja schon ziemlich divers, aber es fehlten schwarze Protagonisten, also habe ich angeregt, die Rolle der Samantha Crowe mit einer schwarzen Schauspielerin zu besetzen. Ebenso wichtig ist es, die Hauptfiguren des Romans in ihrer Kantigkeit zu belassen! Sigur Johanson, Hedonist und Schöngeist mit Hang zu teuren Weinen und wechselnden Partnerschaften, unangefochten die beliebteste Person im Buch, so einen darfst du nicht rundlutschen. Es gibt da diesen Eifer, Figuren, die moralisch nicht dem Zeitgeist zu entsprechen scheinen, durch die political correctness-Maschine zu wursten, um sich beim jungen Publikum anzubiedern. Das ist dumm. Jung, divers, alt, weiß, in einer guten Story haben alle Platz. Meiner Erfahrung nach ist gerade das junge Publikum das offenste. Es will authentische Helden, keine auf korrekt getrimmten.
… über weitere Charaktere
Eine der wichtigsten Figuren, Judith Li, im Roman noch Kommandeurin der US-Streitkräfte, wurde extrem verändert. Als ich den »Schwarm« während der Bush-Administration schrieb, stand sie im Prinzip für Condoleezza Rice. Das erschien uns nicht mehr zeitgemäß. Also habe ich ihr eine neue Vita geschrieben, als Strippenzieherin aus der Privatwirtschaft, eine hochaktuelle Figur. Über die Häufigkeit ihres Auftretens sind wir unterschiedlicher Meinung. Li repräsentiert die menschliche Hybris. Für mich ist der Schwarm ohne sie indiskutabel, außerdem finde ich es an der Zeit, auch die Bösen weiblicher zu besetzen. Derzeit ist sie sehr in den Hintergrund gerückt, ich sehe sie als Hauptfigur. Grundsätzlich aber tut es dem Film gut, dass wir das Personal reduziert haben. So können wir unseren Helden Raum geben.
… über den Haupt-Cast:
Der Haupt-Cast, das sind Leon Anawak, Sigur Johanson und Charly Wagner. Im Buch heißt Charlie noch Karen Weaver und ist Engländerin, aber ich hatte das Gefühl, wir brauchen eine weitere starke deutsche Figur. Sodann SETI-Forscherin Samantha Crowe und Molekularbiologin Cécile Roche, im Buch Bernard Roche. Wir fanden es richtig, Roche weiblich zu besetzen. Ein paar Romankapitel haben wir uns für Staffel zwei aufgespart, etwa Anawaks Selbstfindungsreise nach Nunavut. Acht Folgen sind viel, aber man sollte der Versuchung widerstehen, sie vollzustopfen. Und wir lassen ein paar mehr Leute überleben als im Roman. Klar gibt es Todesfälle zu beklagen. Aber in einer Serie killst du nicht gleich alle deine Darlings. (lacht)
… Anawak
Im Buch ist Anawak ein dreißigjähriger arrivierter Wissenschaftler aus Nunavut. Für uns stand außer Diskussion, dass der Schauspieler ebenfalls Inuk sein muss. Joshua ist perfekt, allerdings deutlich jünger. Und genau das ist ein Glücksfall. Wir wollen ja Identifikationsfiguren für junge Zuschauer aufbauen, die die Welt verändern möchten, und Anawak war immer schon die Projektionsfläche für ihre Träume und Wünsche. Jetzt ist er neunzehn und erst noch auf dem Weg zur Koryphäe. An seinem Charakter ändert das nichts.
… über den USP der Serie:
Ich glaube, zum Erfolg des Romans hat damals beigetragen, dass er in keine Schublade passte: Science-Fiction, Horror, Wissenschaftsthriller, Umweltparabel, Ensemble-Drama – ich liebe die ikonischen Meeres- und Unterwasserdramen, „Abyss“, „Moby Dick“, „Der weiße Hai“, „The Perfect Storm“, aber ohne vermessen zu sein glaube ich, dass „Der Schwarm“ mit nichts davon vergleichbar ist. Ein Sci-Fi-Horror-Abenteuer, ganz der Spannung verpflichtet, das den Führungsanspruch des Homo sapiens auf der Erde in Frage stellt und unser Bewusstsein für den Erhalt unseres Lebensraums schärft – diese Vielschichtigkeit wollen wir beibehalten, ich hoffe, sie wird sich in der Serie wiederfinden. Am Budget sollte es nicht scheitern. Im Wassertank bei Brüssel, wenn du siehst, wie 200 Leute einen Schiffsuntergang filmen, da weißt du, was mit Geld möglich ist.
Interview: Mike Powelz