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Elyas M'Barek: „Man wird öfter in ein falsches Licht gerückt“

Elyas M'Barek: „Man wird öfter in ein falsches Licht gerückt“

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Elyas M'Barek und Jonas Nay bei der Premiere von "Tausend Zeilen" in München Credit: Gisela Schober/Getty Images
Elyas M’Barek und Jonas Nay sind die Stars aus „Tausend Zeilen“. Im exklusiven Interview sprechen die Schauspieler über ihre Rollen und guten Journalismus.

Am 29. September startet „Tausend Zeilen“ in den deutschen Kinos. Michael „Bully“ Herbig (54) hat den Skandal um den „Spiegel“-Starautor Claas Relotius verfilmt. „Spiegel“-Journalist Juan Moreno kam seinem Kollegen damals auf die Spur. Der Film wurde durch Morenos Buch „Tausend Zeilen Lüge“ inspiriert. In den Hauptrollen sind Elyas M’Barek (40) als Journalist Juan Romero und Jonas Nay (32) als Starreporter Lars Bogenius zu sehen. Wir sprachen exklusiv mit den beiden Darstellern.

Elyas M’Barek und Jonas Nay im Interview

Wurden Sie für die Rollen gecastet?

Elyas M’Barek: Ja. Ich bin ein großer Fan von Juan Moreno und kannte sein Buch „Tausend Zeilen Lüge“. Die Geschichte ist spektakulär – im positiven wie im negativen Sinne. Als ich das Drehbuch bekommen habe, das von dem Buch inspiriert ist, wollte ich unbedingt in dem Film mitspielen.

Jonas Nay: Ich habe für den Bogenius ein E-Casting gemacht, habe mich also selbst gefilmt und das weggeschickt. Nachdem Bully Herbig meine beiden Szenen sah, rief er mich an und gab mir die Rolle. Die erste Szene war ein langer Monolog, den Lars Bogenius am Filmende hält. Dabei handelt es sich um eine Verteidigungsrede mit einem anklagenden Unterton. Und auch bei der zweiten Szene musste ich während eines Telefonats mit Romero, bei dem ich mich nicht in die Defensive drängen lasse, eine anklagende Haltung einnehmen und ungehalten auf seine Zweifel reagieren. Ich wollte Bogenius unbedingt spielen und hätte eine Niederlage beim Casting zwar sportlich genommen, aber mit Sicherheit lange getrauert.

Was an Juan Morenos Buch über die Geschichte eines Barons Münchhausen, der innerhalb der „Spiegel“-Redaktion alle zum Narren hält, hat Sie am meisten geplättet?

Elyas M’Barek: Die Tragweite des Ganzen. Heutzutage wird auf allen möglichen Ebenen mit Manipulationen gearbeitet, man denke nur an Donald Trump oder bestimmte politische Strömungen. Das Thema betrifft uns wirklich alle – sei es im Privaten, im Gesellschaftspolitischen oder im Beruf. Als Person des öffentlichen Lebens kennt man es sowieso, dass man öfter in ein falsches Licht gerückt wird. Das finde ich ungerecht, weil mir Ehrlichkeit gegenüber anderen und mir selbst extrem viel bedeutet. Juan Moreno hat sehr darunter gelitten, denn er hätte beinahe seinen Job verloren. Insofern ist das Buch „Tausend Zeilen Lüge“ von Moreno eine spannende, tragische und erschütternde Geschichte.

Jonas Nay: Bevor ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, habe ich mich gefragt, warum niemand gemerkt hat, dass viele „Spiegel“-Reportagen von Claas Relotius erstunken und erlogen waren – besonders, weil wir im 21. Jahrhundert leben und sich viele der angeblichen Fakten online hätten überprüfen lassen. Aber andererseits haben Betrüger und Hochstapler ein feines Gespür für Manipulationen, und es gibt sie schon ewig. Ein Beispiel dafür ist der Autor Karl May, der mehrere seiner Schriften bei verschiedenen Magazinen gleichzeitig unterbrachte – und das immer unter verschiedenen Namen. Damals hat das niemand gemerkt, weil die Hamburger Artikel nicht in Bayern erschienen – und umgekehrt. Im Fall von Claas Relotius hingegen war es für mich nicht nachvollziehbar, warum keiner der direkt von seinen Lügen Betroffenen, beispielsweise seine angeblichen Interviewpartner, laut aufschrie. Außerdem fand ich es seltsam, dass Relotius sein Lügenkonstrukt überhaupt über so lange Zeit aufbauen und aufrechterhalten konnte, bis ich schließlich tief in das Lügensystem Relotius eingetaucht bin, das für jede Eventualität gewappnet schien. Der Skandal hat mich geschockt, aber auch dafür sensibilisiert, Texte, Thesen, Headlines, die ich lese, mehr zu hinterfragen.

„Tausend Zeilen“: Elyas M’Barek sprach mit Juan Moreno

Ihre Rollen – Romero und Bogenius – sind an Moreno und Relotius angelehnt. Welche Aspekte haben Sie dabei besonders interessiert?

Elyas M’Barek: „Tausend Zeilen“ ist eine fiktionalisierte Verfilmung des Buches von Juan Moreno. Zum Glück ergab sich die Möglichkeit, dass wir uns trafen und uns ausgetauscht haben. Außerdem fand ich es spannend, was der Skandal mit Moreno gemacht hat und wie sich Moreno damals gefühlt hat. Und zu guter Letzt wollte ich natürlich verstehen, wie sich Juan selbst erklären konnte, weshalb ihm niemand geglaubt hat, als er Relotius bereits auf der Spur war – und warum die Verantwortlichen beim „Spiegel“ stattdessen wochenlang die falsche Person verteidigten.

Jonas Nay: Ich habe mich bei meinem E-Casting frei von jeglichen Vorstellungen über real existierende Hochstapler gemacht, und stattdessen meine eigene persönliche Hochstaplerpersönlichkeit für das Casting entwickelt. Außerdem wollte ich von Bully Herbig wissen, wie sympathisch die Zuschauer Bogenius finden dürfen. Seine Antwort: Die große Kunst bestehe darin, „Ping Pong“ mit den Figuren zu spielen – einerseits sollten die Zuschauer Elyas alias Romero folgen, doch andererseits solle Bogenius ständig versuchen, sie auf seine Seite zu ziehen. Diese Dynamik war eine Herausforderung, die mir viel Spaß bereitet hat.

Haben Sie vor Drehbeginn mit echten Hochstaplern gesprochen?

Jonas Nay: Nein, aber mit Opfern von Hochstaplern – um zu verstehen, wie sie manipuliert wurden und weshalb sie den Betrügern überhaupt auf den Leim gingen. Die Opfer haben mir erklärt, dass die Betrüger immer empathisch wirkten und beispielsweise eine Technik anwandten, bei der sie die Verhaltensweisen der Opfer spiegelten, so dass ein Vertrauensverhältnis entstand. Das hat mich enorm inspiriert…

Haben Sie die „Spiegel“-Lügenstorys von Claas Relotius damals gelesen und bewundert?

Elyas M’Barek: Bewundert nicht, aber ich kannte sie natürlich. „Jaegers Grenze“ habe ich damals im Flugzeug gelesen und mich gefragt, wie es sein kann, dass Grenzkontrolleure auf Menschen schießen und dabei einen Journalisten zusehen lassen. Später, vor Drehbeginn, habe ich auch die anderen Artikel des Hochstaplers gelesen. Da ist mir erst bewusst geworden, wie unglaublich groß die Dimension des Skandals war. Tja, leider waren die verlogensten Artikel zugleich die abenteuerlustigsten, herausragendsten und unterhaltsamsten.

Jonas Nay: Bis zu einem gewissen Grad bewundere ich Relotius für seine Kunst, sich so verstellen zu können, dass ihm die Menschen abgekauft haben, dass seine Lügen wahr waren – genau wie für sein unterhaltsames Schreiben. Übrigens hat der „Spiegel“ nachträglich überprüft, was überhaupt korrekt war. Angesichts der großen Vielzahl der nicht überprüfbaren bzw. auch falschen Behauptungen, hat es mich tatsächlich beeindruckt, dass Relotius seinem Arbeitgeber solche Storys überhaupt unterjubeln konnte – weil es sich bei denjenigen, die seine Artikel überprüften, schließlich um gestandene Redakteure und Faktenchecker handelte. Aber wahrscheinlich ist es wohl so, dass man lange auf einer Erfolgswelle surfen kann, wenn man sie erst mal erreicht hat.

Elyas, worüber haben Sie sich mit Juan Moreno ausgetauscht?

Elyas M’Barek: Vor allem wollte ich viel über den Journalistenberuf erfahren. Erstens, weil ich noch nie einen Journalisten gespielt habe. Zweitens, weil mich der Job schon immer interessiert hat. Drittens, weil ich als Schauspieler beruflich viel mit Journalisten zu tun habe – und viertens, weil es ein wichtiger Job ist. Ich habe Juan Moreno gefragt, wie er seinen Job gestaltet, was ihn antreibt, wie schwierig der Beruf ist und welchen Zeitaufwand echter Journalismus erfordert. Außerdem wollte ich unbedingt wissen, was der Skandal mit ihm gemacht hat – und wie er das Ganze verarbeiten konnte.

Wie hat Claas Relotius auf das Filmprojekt reagiert?

Jonas Nay: Das weiß ich nicht. Für mich galt, dass ich Lars Bogenius spiele – und dass dieser Charakter fiktional ist. Insofern gab’s für mich auch keinen dringenden Grund, mit Claas Relotius zu reden – auch wenn er für mich aufgrund meiner Profession als Schauspieler eine wahnsinnig spannende Quelle gewesen wäre. Denn wann hat man schon mal die Möglichkeit, mit einer solchen Persönlichkeit zu reden?

Welchen Denkanstoß gibt der Film?

Elyas M’Barek: Abgesehen davon, dass es ein wahnsinnig unterhaltsamer, lustiger, spannender und emotionaler Film ist, stellt er vor allem die Frage, was man vom Journalismus eigentlich erwartet – und warum verlogene Artikel gleichermaßen ein Skandal für die Medienwelt und die Leser sowie für mich persönlich sind. Für mich habe ich das so beantwortet: Ich brauche gute Reporter, die stellvertretend für mich in die Kosmen anderer Menschen eintauchen, um anschließend ihren Erfahrungshorizont mit mir zu teilen. Denn nur dann kann ich mir selbst ungefiltert ein Bild von der Welt machen. Problematisch wird das Ganze, wenn ich nicht mehr darauf vertrauen kann, dass dieses System tatsächlich funktioniert – in diesem Fall nicht mal bei einem Medium wie dem „Spiegel“. Wenn sowas auffliegt, wird die ganze Welt zu einem einzigen grauen Nebel. Die Dimension ist einfach unglaublich.

Jonas Nay: Für mich habe ich einmal mehr die Lehre gezogen, dass es oft kontraproduktiv ist, Dinge und Personen nach ihrem Anschein zu beurteilen. In unserem Film wird ja deutlich gezeigt, dass alle Bogenius glauben wollten, weil er jung, eloquent und scheinbar sehr interessiert an seinen Mitmenschen war. Weil er perfekt wirkte, kam niemand auch nur ansatzweise auf die Idee, dass dieser Typ ein Lügner sein könnte. Wir sollten viel achtsamer bleiben, und uns nicht vom schönen Schein ablenken lassen.

Elyas M’Barek: „Dem Journalismus vertraue ich auch weiterhin“

Wie hat sich Ihr Blick auf Reportagen verändert?

Elyas M’Barek: Dem Journalismus vertraue ich auch weiterhin, weil ich glaube, dass er gut funktioniert. Ich glaube, dass der Fall Relotius in dieser Dimension tatsächlich nur ein Einzelfall war.

Jonas Nay: Das sehe ich genauso. Es gibt nun mal Menschen, die einen krass belügen – aber andererseits auch solche, die sowas aufdecken. Wir können Juan Moreno wahnsinnig dankbar für seine Ermittlungen sein. Durch guten Journalismus war es möglich, dass die Täuschungen ans Tageslicht kamen. Und was meine Sicht betrifft? Da gibt es zum Glück mehr seriöse Medien als Fake News, die man obendrein ziemlich leicht durchschauen kann, wenn man die Quellen hinterfragt und sich anschaut, ob sie faktenbasiert sind oder aus bestimmten politischen Lagern gestreut werden.

Führen Sie Listen mit den Namen berüchtigter Journalisten, denen Sie keine Interviews mehr geben?

Elyas M’Barek: Nein. Zum Glück habe ich noch nicht so viele schlechte Erfahrungen mit den schwarzen Schafen in diesem Berufsbild gemacht – und mit berechtigter Kritik kann ich ebenfalls durchaus umgehen. Dass mir das Wort im Mund umgedreht wurde habe ich auch noch nie erlebt. Zwar gibt’s einige Blätter, mit denen ich nicht gerne arbeiten möchte, aber ansonsten glaube ich an das Recht auf freie Meinungsäußerungen sowie jedwede Form von gut begründeter Kritik – egal, ob sie positiv oder negativ ist.

Jonas Nay: Das sehe ich genauso, weil ich auch nicht immer die volle Wahrheit sage, was nicht heißt, dass ich lüge. Nein, vielmehr entscheide ich mich bei jedem Interview bewusst dafür, welchen Teil der Wahrheit ich von mir preisgebe, und was ich nicht erwähne oder nicht korrigiere.

Bitte ein Beispiel.

Jonas Nay: Häufig steht über mich geschrieben, dass ich Jazzpianist wäre und Filmmusikkomposition studiert hätte. In Wahrheit habe ich an der Musicube Academy in Bonn einen privaten Ausbildungsgang in Filmmusik und Tontechnik gemacht – und einen „Bachelor of Arts“ an der Musikhochschule im Hauptfach Jazzpiano. Das sind zwei unterschiedliche Paar Stiefel, aber an einer derart differenzierten Wahrheit sind nicht immer alle interessiert – manchmal nicht mal ich selbst. Die drei Musikstudenten meiner Band hingegen lachen darüber, weil sie den Unterschied sehr wohl kennen.

Interview: Mike Powelz