Plötzlich steht sie da. Die entrückte Prinzessin in einer Fish-&-Chips-Gaststätte, mit teurem Chanelkostüm in frittiergeschwängerter Luft. Lady Di ist zu dieser Zeit schon eine der berühmtesten und meistfotografierten Persönlichkeiten der Welt. Jeder erkennt sie sofort. Aber alle starren sie nur an. Die Prinzessin hat sich mit ihrem Porsche verfahren und fragt kleinlaut nach dem Weg. Doch keiner vermag ihr zu helfen. Allen bleiben Fisch und Fritten im Halse stecken.
Eine großartige Szene, die zur Metapher gerinnt. Hier einfache Menschen wie du und ich, die Lady Di nur aus der Ferne kennen und für die der Prinzessinnentraum auf ewig ein Märchen bleibt. Und da die Dame von Welt, die keine Prinzessin sein und schon gar nicht Königin werden will, aber in diesen Sphären weilt – und das Märchen als Albtraum erlebt.
„Spencer“: die Imagination einer Entfremdung
Davon handelt Pablo Larraíns Film „Spencer“, der am 13. Januar in die Kinos kommt. Keine klassische Filmbiografie, die das Leben eines berühmten Menschen mit all seinen Stationen abklappert, sondern ein konzentriertes, ja klaustrophobisches Kammerspiel, das mit vielen Überhöhungen arbeitet und sich viele Freiheiten nimmt. Wie die erfundene Szene im Fish-&-Chips-Lokal. Aber dafür setzt er auf eine innere Wahrheit, um das Wesentliche dahinter zu ergründen, eine Imagination der Entfremdung, oder, wie es gleich zu Beginn heißt: „Eine Fabel aus einer wahren Tragödie“.
Nur drei Tage im Leben von Diana Spencer werden hier geschildert: Weihnachten 1991. Das letzte Fest der Liebe, das Diana noch im Kreis der Königsfamilie verbringen wird, bevor sie am Ende die unerhörte Entscheidung trifft, mit ihr zu brechen. Doch bis es soweit ist, sehen wir, wie die junge, scheue Frau, die sich doch nur nach Zuneigung sehnt, erstickt an den kaltherzigen Royals und ihrer starren Etikette.
Mit Lady Di betritt man Schloss Sandringham, wo es aus allen Ritzen zieht und trotzdem nie geheizt wird. Da passen die fahlen Bilder der wintertrüben, nebelverhangenen Landschaft nur zu gut zu der Kühle, die hier alle im Herzen tragen. Und der Zuschauer kann dies nicht einfach von außen studieren, nein, er wird gezwungen, diese beklemmende Passionsgeschichte mit zu erleben und mit zu durchleiden.
Immer wieder neue finstere Wahnbilder findet Regisseur Larraín für sein Martyrium der Lady Spencer. Ob er sie in weiten, offenen Landschaften wie verloren stehen lässt oder in dunkle Zimmer sperrt. Fehl am Platze wirkt sie hier wie dort. Die Königsfamilie erleben wir dabei nur von fern. Und miteinander reden tun sie auch nie. Nein, die Royals wirken wie bizarre Schreckenswesen einer Geisterbahn, die die von Kristen Stewart gespielte Diana immer wieder durchschreiten muss. Es gibt dabei auch andere Gruseleffekte: Hofschranzen und Polizisten, die überall aus dem Nichts auftauchen und sie penibel in die Regularien des Protokoll zurückweisen.
Ein Goldener Käfig, in dem auch der Zuschauer gefangen ist
Kein Wunder, dass sich die Lady verfahren hat. Da saß das Unterbewusstsein am Steuer. Halb aus Angst, halb aus Lust zögert Diana das Ankommen bis zuletzt hinaus. Trifft erst nach der Queen ein, ein Tabubruch schon das, und schließt sich erst mal in ihrem Gästezimmer ein.
Immer wieder, fast schon leitmotivisch wird man Zeuge, wie die unter Bulimie leidende Lady Di sich übergeben muss. Wie sie stets versucht, sich zusammenzureißen, und es doch nicht vermag. Wie sie wieder und wieder Anlauf nimmt zur Weihnachtsfeier. Dann doch innehält auf einem der vielen endlosen Gänge. Und zurückrennt und sich einschließt.
Dann wieder wird ihr befohlen, die Vorhänge an ihren Fenstern zuzuziehen, damit kein Paparazzi ein Foto schießen kann. Als sie dem nicht nachkommt, werden die Stores sogar zugetuckert, und sie kratzt sie mit bloßen Händen auf, wobei sie sich mit Vorsatz verletzt. Ein buchstäblich goldener Käfig, aus dem es kein Entrinnen gibt. Und in dem man auch als Zuschauer gefangen ist.
Die einzigen zärtlichen Momente sind die, wenn Diana mit ihren Söhnen zusammen sein kann. Aber das wird ihr kaum gewährt. Und so würgt sie an Protokoll und Etikette, würgt auch an ihrer Kette, die sie sich vom Hals reißt und deren Perlen, die in die Suppe fallen, sie mit verschluckt. Das ist nur eine von vielen irritierenden Schockvisionen. Aber würgen muss sie trotzdem, und ihr edles, weites Kleid ergießt sich dann übers ganze Badezimmer, wenn sie sich über der Toilette erbricht.
Eine andere Horrorvision ist Anne Boleyn. Irgendjemand hat ihr, wohl aus Bosheit, eine Biografie über die zweite Frau von Heinrich VIII. aufs Kissen gelegt. Wurde der nicht das Haupt abgeschlagen, damit der Gatte ungehemmt seiner Lust frönen konnte? Hier fantasiert sich Diana selbst zu Boleyn, zu einem Opfer der Krone.
Erst ein Film über Jackie Kennedy, nun über Diana Spencer
Der Chilene Pablo Larraín wurde mit Dramen über die Militärdiktatur unter Pinochet bekannt, bevor er sich, mit Filmen wie „Ema“ zum Frauenregisseur gewandelt hat. Um Unterdrückung und Repression geht es freilich auch da. Schon einmal hat der Regisseur dabei das Leben einer berühmten Frau im Brennglas eines dreitägigen Konflikts kulminieren lassen: in „Jackie“ über Jackie Kennedy, unmittelbar nach dem tödlichen Attentat auf ihren Mann John F. Kennedy.
Wie dieser Film nicht in den USA, sondern in Frankreich entstand, drehte Larraín „Spencer“ nicht in England, sondern in Nordrhein-Westfalen, auf brandenburgischen Äckern, im Schloss Marquardt bei Potsdam und in der Berliner Max-Schmeling-Halle. Und wie in „Jackie“ Natalie Portman sein großes Ass im Ärmel war, ist es nun Kristen Stewart.
Der einstige Teeniestar der „Twilight“-Reihe hat sich längst zu einer Charakterschauspielerin ersten Ranges gemausert. Wie sie sich Diana anverwandelt, wie sie ihre verdruckste Körperhaltung imitiert, den verhuschten Blick, den schleppenden Gang, die schräge Schulter, die wie zur Abwehr vor dem Schoß verschränkten Hände – das ist atemberaubend.
In Oliver Hirschbiegels „Diana“-Film von 2013 sah man immer nur Naomi Watts unter einer schrägen Perücke. In „Spencer“ verschwindet die Darstellerin ganz hinter der Prinzessin der Herzen und der Tränen. Wir wagen sogar die These: Wer es nicht weiß, wird sie vielleicht gar nicht erkennen.
Schreckgespinste einer Geisterbahnfahrt
Und verarbeitet Stewart damit nicht auch ein wenig ihre eigene Geschichte? Dass sie ständig fotografiert und verfolgt wurde und alle ein Bild von ihr hatten, das nicht der Wahrheit entspricht: Diese Erfahrung, gab sie bei der Weltpremiere auf dem Filmfest von Venedig zu, habe sie selber machen müssen. „Nur ansatzweise, auf einem viel niedrigeren Level“, wie sie einschränkte. Aber eben doch. „Wie muss sich das erst für sie angefühlt haben?“, setzte sie nach. Genau das zeigt sie hier, in ihrer bislang großartigsten und eindringlichsten Performance.
Die Royals haben da, so kurz vor dem 70-jährigen Thronjubiläum der Queen, mal wieder an einer großen Kröte zu schlucken. Und bald startet ja auch die fünfte Staffel der Serie „The Crown“, wo es erneut um das Ehedrama von Charles und Diana gehen wird. „Spencer“ handelt aber nur von Diana. Die Royals, das ist vielleicht die boshafteste Pointe dieses Films, sind alle eher Statisten. Aber eben auch das: Schreckgespinste einer Geisterbahnfahrt.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Rubrik Kultur der Berliner Morgenpost.