Die verrauchte Kneipe wirkt eng wie ein Schlauch, rechts an der braunen Wand entlang führt der Tresen bis ganz nach hinten zur kleinen Bühne. Dort sitzt ein schlaksiger Typ mit langen Haaren am Schlagzeug, blaue Hose, rosa Samthemd. Er spielt mit seiner Band „She’s Like a Rainbow“ von den Rolling Stones, und niemand ahnt, dass dieser Typ namens Udo Lindenberg mal der größte Rockstar in Deutschland sein wird.
Nein, dies ist kein alter Film. GOLDENE KAMERA besucht in Hamburg das Set des Films „Lindenberg! Mach dein Ding“, der am 16. Januar 2020 im Kino startete. Hier im alten Hotel Randel wurde die Musikkneipe „Onkel Pö’s Carnegie Hall“ nachgebaut, und zwar täuschend echt, wie der frühere Besitzer Holger Jass schwört. Das Acht-Millionen-Euro-Projekt erzählt die frühen Jahre Udos, die Zeit, in der Songs wie „Mädchen aus Ostberlin“, „Cello“, „Andrea Doria“ oder „Hoch im Norden“ entstehen, der große Erfolg aber zunächst ausbleibt.
Die Zuschauer erfahren, dass Udo als Jazzschlagzeuger begann, in Libyen für amerikanische GIs spielte und seine Jungfräulichkeit im Puff verlor. Als Udos Manager tritt Detlev Buck auf – und die Hauptrolle spielt Jan Bülow („Dogs of Berlin“). Im Exklusiv-Interview mit GOLDENE KAMERA verrät der 26-jährige Berliner, wie er das Casting gewann, ob er alle Songs selbst singt und wie ein Auftritt vor 2000 Leuten abging:
Jan Bülow im Interview mit GOLDENE KAMERA
GOLDENE KAMERA: Kannten Sie die Lieder von Udo Lindenberg, bevor Sie mit der Arbeit am Film begannen?
Jan Bülow: Ich war vorher Sympathisant, aber jetzt bin ich ein richtiger Fan geworden.
Haben Sie sich zur Vorbereitung eine Playlist zusammengestellt?
Nein, aber auf Spotify bekommt man alles, ich musste nicht in einen Laden rennen und CDs kaufen. Da kann man die Diskografie durchstöbern. Manche Alben habe ich mehrmals durchgehört – eher die früheren. Ich höre ganz gerne mal ganze Alben.
Gibt es einen Lieblingssong?
Das ändert sich ständig. Es sind so wunderschöne Texte, und mit manchen kann man sich in bestimmten Situationen mehr identifizieren und hat ein neues Lieblingslied. „Mädchen aus Ostberlin“ ist wunderschön – textlich und von der musikalischen Begleitung. Das hat einen Modus, den man sofort versteht, dieses Abhauen und Sichverlieben. „Sonderzug nach Pankow“, „Nichts haut einen Seemann um“, „Leider nur ein Vakuum“. Ein paar Tage später ist man in einer neuen Situation und hat einen neuen Lieblingssong. Der Rolling Stone hat für Bruce Springsteen mal seine Songs von Platz 400 bis Platz eines aufgelistet – damit konnte ich mich gar nicht identifizieren. Bei Udo wäre das auch so.
Wie wird man für Udo Lindenberg gecastet: singen, Hut aufsetzen…?
Das hat unkonventionell angefangen und ist konventionell geendet. Ich hatte über einen Kumpel an der Schauspielschule mitbekommen, dass gesucht wird. Man sollte einen Song singen und als Video einschicken. Ich habe „Andrea Doria“ genommen, ich hatte vorher meinen Onkel gefragt und mich auf der Theaterbühne am Klavier begleiten lassen. Dann wurde ich zum Casting eingeladen, man hat Szenen probiert, und nach dem zweiten Mal kam die Zusage! Ich habe mich wahnsinnig gefreut.
Wie wird man am Set zu Udo Lindenberg mit seiner berühmten Sprechweise?
Das war das große Thema. Wir haben viel versucht. Ich habe mir viele Interviews von früher angeschaut. Aber seinen Sprech hat er ja erst entwickelt, und wir sind zu dem Schluss gekommen, es sein zu lassen. Das hat eher etwas Karikatives. Der Udo, den man heute kennt, ist erst nach seinem Erfolg entstanden. Unser Film spielt in der Zeit, in der er versucht, musikalischen Erfolg zu haben, seine Anfänge. Und wir haben emotionale Szenen, Ausbrüche in alle Richtungen. Man kennt aber eher den lässigen, coolen Udo, der nichts anbrennen lässt und mit seiner Lässigkeit Vieles überspielt. Niemand weiß, wie Udo ist, wenn er mal böse wird.
Und Sie singen 100 Prozent selbst?
Ja. Am Ende des Films singe ich ja „Andrea Doria“. Das war die gleiche Diskussion: nachmachen oder nicht? Aber man muss es ein bisschen zu seinem Eigenen machen, denn das andere gibt es ja schon, da rutscht man leicht ab, wenn man versucht, den Song genauso krass hinzukriegen. Da würde es nur heißen: „Das klingt ja fast wie Udo“. Deshalb haben wir uns entschieden, da mit einer eigenen Form heranzugehen, natürlich mit Respekt vor Udo Lindenberg. Ich versuche den Modus und die Richtung mitzunehmen und trotzdem etwas von mir hereinzubringen, diese Songs für mich neu zu interpretieren, zu entdecken, zu begreifen. Ich habe mit den Produzenten von Udo aufgenommen und wir haben uns am Original orientiert, aber wollten nicht es um jeden Preis nachmachen.
Hat Udo das angehört?
Ja, er war im Studio Ende Oktober 2018 und hat sich „Andrea Doria“ angehört. Er ist d’accord.
Wie ist Udo so als Typ?
Super! Wir waren zu Besuch bei ihm im Atlantic, und ich war super aufgeregt. Aber er holt einen gleich ab: „Na komm, wir geh’n mal hoch“. Ich habe nach zwei Minuten vergessen, dass ich vor einem Rockstar sitze. Er ist ein super Gastgeber, ein Supertyp. Einer, der Freude daran hat, einen kennenzulernen. Ich habe ganz normal mit ihm über Gott und die Welt geredet, ich finde Udo sehr, sehr angenehm.
Haben Sie bei der Arbeit etwas über Udo erfahren, was Sie vorher nicht wussten?
Die Libyen-Nummer etwa. Mein Udo-Wissen hatte ich vorher aus den Nachrichten und einer Handvoll Songs, aber ich war kein eingefleischter Fan. Das war vor meiner Zeit. Für mich war Vieles neu. Mir war nie klar, dass er aus Gronau kommt, ich habe ihn immer mit Hamburg verbunden. Und dass er vorher Trommler war.
Wie war der Auftritt als Udo in der Hamburger Laeiszhalle?
Klasse. Jeder Bühnenschauspieler ist ja ein verhinderter Rockstar. Das ist schon ein Traum, und die Komparsen haben das super gemacht. Das war ein Konzertmodus, und ich habe gemerkt, was das Adrenalin mit dir macht, wenn die Menge kreischt, ausrastet, durchdreht, nach vorne drängt. Das ist Wahnsinn. Und wir haben geschafft, dieses Gefühl zu reproduzieren.
Der Film ist ja unter anderem auch ein Aufsteigerdrama. Gibt es diesen einen Augenblick, in dem Udo Lindenbergs Leben den Weg nach oben nahm?
Das ist natürlich schwierig. Im Film – du kannst nicht das ganze Leben im Detail schildern – gibt es mehrere Ups and Downs. Udo sagte zu mir: „Eigentlich wollte ich der beste Trommler der Welt werden“. Da war er ja auch schon wahnsinnig drin im Geschäft. Diesen Satz gibt es auch im Film, und Udo hat ihn wirklich gesagt zu seinem Plattenboss: „Unter einer Million erübrigt sich jedes weitere Gespräch“. Und er hat einen Millionenscheck ausgestellt bekommen… Das kann man mal als Durchbruch werten. Von da an war klar, dass es eine ernstzunehmende Karriere wird.
Udo hat die deutsche Sprache in der Rockmusik singbar gemacht. Wie ging das?
Er hat es gemacht in einer Zeit, in der das nicht en vogue war. Er hat die deutsche Rockmusik erfunden. Seine Texte sind wahnsinnig gut. Es ist ein Witz drin, über den man lachen kann, eine sprachliche Verspieltheit – und gleichzeitig auch unfassbar tiefe Trauer, auch wegen Kleinigkeiten – wenn das letzte Bier alle ist oder die große Liebe weg. Es gibt dieses Buch mit seinen Texten, das ist toll zu lesen! Ich habe einen Wahnsinnsrespekt davor, dass er einfach sein Ding gemacht hat.
„Lindenberg! Mach dein Ding“ wird am Montag, 18. Juli, um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt.